Die „Abkehr vom Wertesystem Kapital und stetiges wachsen“ bedeutet nicht den Verzicht auf Wirtschaft, sondern eine Neujustierung der Messlatte: von Quantität zu Qualität, von mehr haben zu besser leben.
Unsere Wirtschaft war in den letzten Jahrzehnten stark von Wachstum geprägt. Mehr Produktion, mehr Konsum, mehr Beschäftigung – das galt als Garant für Wohlstand. Doch dieses Wachstum stößt zunehmend an Grenzen. Rohstoffe, Energie, ökologische Belastbarkeit und auch die demografische Entwicklung sind endlich. Damit wirkt die Wirtschaft, als würde sie „auf die Bremse treten“.
Für Unternehmen bedeutet das: Märkte sättigen sich. Der klassische Weg, einfach mehr zu verkaufen, funktioniert nicht mehr. Der Wettbewerb verschärft sich, Margen schrumpfen. Um erfolgreich zu bleiben, müssen Firmen Innovationen und neue Produkte vorantreiben, Services ausbauen und ihre Geschäftsmodelle anpassen – etwa durch Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder Spezialisierung.
Auch Staaten spüren die Bremse. Steuereinnahmen wachsen langsamer, Sozialsysteme geraten unter Druck, weil eine alternde Gesellschaft steigende Kosten verursacht. Ohne Wachstum wird es schwieriger, Renten und Gesundheitssysteme zu finanzieren. Gleichzeitig erschwert stagnierendes Wachstum den Umgang mit hohen Staatsschulden.
In der Gesellschaft führt endliches Wachstum zu Verteilungskämpfen. Wenn der „Kuchen“ nicht mehr größer wird, geht es nicht mehr um gemeinsames Mehr, sondern um gerechte Verteilung. Das kann Spannungen verschärfen. Gleichzeitig verändert sich das Konsumverhalten: Immer mehr Menschen legen Wert auf Qualität, Nachhaltigkeit und Erlebnisse statt auf reinen Massenkonsum.
Die „Bremse“ ist aber nicht nur Bedrohung, sondern auch Chance. Sie zwingt dazu, Wirtschaft neu zu denken. Statt quantitativem Wachstum rücken qualitative Faktoren in den Vordergrund: Effizienz, Kreislaufwirtschaft, neue Energieformen, Lebensqualität. Erfolg wird künftig weniger an der Menge, sondern stärker an Nachhaltigkeit und Resilienz gemessen.
Endliches Wachstum ist kein kompletter Stillstand, sondern ein Signal zum Umsteuern. Wer rechtzeitig auf neue Geschäftsmodelle, nachhaltige Politik und veränderte Lebensstile setzt, wird auch in einer gebremsten Wirtschaft vorankommen – nur eben auf eine andere Weise.
Fazit:
Die „Abkehr vom Wertesystem Kapital und stetiges wachsen“ bedeutet nicht den Verzicht auf Wirtschaft, sondern eine Neujustierung der Messlatte: von Quantität zu Qualität, von mehr haben zu besser leben.
Sehr spannende Frage – die zielt direkt ins Herz der Debatte um Post-Wachstum und alternative Wertsysteme.
Ja: die „Bremse“ durch endliches Wachstum kann teilweise abgefedert oder neu interpretiert werden, wenn sich unser Wertesystem vom reinen Fokus auf Kapital & BIP-Wachstum löst.
Warum ein anderes Wertsystem?
Das klassische Wirtschaftsmodell misst Erfolg vor allem an quantitativem Wachstum:
Steigende Umsätze, Gewinne, Börsenkurse.
Wachsende Steueraufkommen und BIP.
„Mehr“ wird automatisch gleichgesetzt mit „besser“.
Das Problem: In einem endlichen System (Ökologie, Demografie, Ressourcen) stößt dieses Denken an harte Grenzen. Wenn man das Wachstum nicht mehr als alleinige Messlatte nimmt, entsteht Raum für andere Wertsysteme.
Mögliche Alternativen zum Kapital-zentrierten Wertsystem
a) Nachhaltigkeit & ökologische Tragfähigkeit
Erfolg wird daran gemessen, wie schonend eine Gesellschaft mit Ressourcen umgeht.
Mögliche Kennzahlen: CO₂-Bilanz, Biodiversität, Ressourceneffizienz, Recyclingquote.
Beispiel: „Planetary Boundaries“ als Leitgröße für Politik und Unternehmen.
b) Lebensqualität & Wohlergehen
Fokus nicht auf Output, sondern auf Outcomes: Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheit, kulturelle Teilhabe.
Kennzahlen: Human Development Index, Glücksindikatoren, Life Satisfaction Surveys.
Beispiel: Bhutan mit dem „Bruttonationalglück“ oder die OECD mit dem „Better Life Index“.
c) Resilienz & Stabilität
Wert liegt nicht mehr in maximalem Wachstum, sondern in Krisenfestigkeit.
Unternehmen: stabile Lieferketten, Diversifikation, geringe Abhängigkeit.
Staaten: widerstandsfähige Infrastruktur, soziale Kohäsion.
d) Gemeinwohl & soziale Gerechtigkeit
Wertewandel hin zu gerechter Verteilung, Teilhabe und Chancengleichheit.
Messbar durch Gemeinwohl-Bilanzen, Armutsquoten, Zugang zu Bildung und Gesundheit.
Beispiel: Gemeinwohl-Ökonomie (Christian Felber).
e) Kulturelle & immaterielle Werte
Fokus auf Kreativität, Kultur, Beziehungen, Sinn.
Hier gilt „Wachstum“ nicht in Zahlen, sondern in Qualität der menschlichen Erfahrung.
Praxisnahe Konsequenzen
Unternehmen: müssten ihre Erfolgsmessung ergänzen – nicht nur EBIT und Umsatz, sondern auch Nachhaltigkeitsziele, Mitarbeiterzufriedenheit, Innovationsbeiträge.
Politik: würde neue Wohlstandsindikatoren einführen und daran Budgets, Förderungen und Steuern koppeln.
Gesellschaft: könnte weg vom Konsumfetisch zu mehr Wertschätzung von Zeit, Beziehungen, Gesundheit, Umwelt kommen.
Kurz gesagt:
Die „Abkehr vom Kapital“ bedeutet nicht den Verzicht auf Wirtschaft, sondern eine Neujustierung der Messlatte: von Quantität zu Qualität, von mehr haben zu besser leben.
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